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04.11.2021 

Dr. Verena Henrich, Software AG

Felix Hoffmann, PTW TU Darmstadt

Anfang November 2021 fand ein zweitägiges Projekttreffen unter dem Motto „Fabrik der Zukunft“ bei der Firma Gebrüder Heller Maschinenfabrik GmbH in Nürtingen statt. Insgesamt waren 25 Teilnehmer*innen von Unternehmen und Forschungseinrichtungen vertreten, die an EuProGigant beteiligt sind. Ziel war es, ein gemeinsames Verständnis für die Produkte, Prozesse und Abläufe in der Fertigung von Werkzeugmaschinen aufzubauen. Zudem stand ein interdisziplinärer Austausch zur Erstellung der Fabrik der Zukunft im Fokus. 

Nach einer einleitenden Führung durch die Lehr- und Lernfabrik sowie die Fertigungshallen des Heller-Produktionsstandorts Nürtingen, stand ein Impulsvortrag zum aktuellen Stand und zur Vision der Digitalisierung im Unternehmen am Programm. 

 

Die Fabrik der Zukunft wird aus Ton und Papier gebaut 

Von der Führung und dem Vortrag inspiriert, entstanden in der zweiten Hälfte des ersten Tages Visionen für die Fabrik der Zukunft. Ein Workshop mit dem gleichen Titel fand in einer der historischen Produktionshallen statt und wurde von den Architekten der plus+ bauplanung GmbH in gute Bahnen geleitet. 

Die Architekten des Industrieausschussmitglieds ließen ihre praktischen und methodischen Erfahrungen aus der partizipativen Planung von Bauvorhaben einfließen. Hierdurch konnten sie das stark interdisziplinäre Projektteam sehr gut für die Entwicklung innovativer Konzepte im Bereich der Fabrikgestaltung motivieren. Mithilfe dreidimensionaler Modelle aus Ton, Papier, Holz und Folie wurden die innovativen Konzepte greifbar gemacht. Anschließend wurden die vier erarbeiteten Fabriken der Zukunft im Plenum vorgestellt und besprochen. 

Bild 1: Der Werkzeugkasten des Tages

Die Fabrik der Zukunft ist digital und nachhaltig 

Solarpanele, Hydroenergie oder sogar eingebaute Windkraftanlagen: Alle Fabriken der Zukunft haben innovative und nachhaltige Energiekonzepte integriert. Alle Gruppen fanden es wichtig, den Nachhaltigkeitsaspekt miteinzubeziehen. 

Eine zentrale Fragestellung des Workshops war es, wie viel Zeit die Mitarbeiter im Shopfloor und im Büro am Bildschirm verbringen werden. Damit rückte das Thema Digitalisierung in den Fokus. Alle Fabriken der Zukunft haben die Büroflächen erweitert, und Roboter und Cobots eingeplant. 

Weitere Ergebnisse der Gruppen haben interessanterweise jeweils unterschiedliche Aspekte einer Zukunftsfabrik in den Mittelpunkt gestellt. Es folgt eine Auswahl. 

Räumliche Aspekte auf Flexibilität fokussieren 

Hinsichtlich der räumlichen Aspekte fanden sich die Arbeitsgruppen weitestgehend wieder. Insbesondere die Flexibilität war ein wichtiger Punkt, der auf verschiedene Weisen ausgedrückt wurde.  

Eine Fabrik der Zukunft hat auf Modularität gesetzt. Ein Standardmodul dieser Fabrik bestand aus Büro- und Produktionsräumen, sowie Grün- und Entspannungsflächen, und konnte mit weiteren Modulen fast “Lego-mäßig” erweitert werden. Ein anderes Model wurde als räumlicher und modularer “Baum” dargestellt, um Wachstum zu symbolisieren. Fast alle Gruppen haben an einen zentralen Treffpunkt gedacht, wo sich alle Mitarbeiter – sowohl Blue Collar als auch White Collar – begegnen können. Der Vorteil eines zentralen Treffpunkts sei, dass Austausch und Zusammenarbeit auf nicht eindringliche Weise angestoßen werden können. Außerdem würden solchen Flächen für eine bessere Work-Life-Balance und potenziell für bessere Arbeitsleistung sowie Zufriedenheit sorgen. 

Ein besonderer Anreiz kam von einer Gruppe: Mit der Metapher eines Bahnhofs, in der Mitarbeiter figurativ an einem Tag bei der Schulung sind und an einem anderen Tag bei der Kleinfertigung aussteigen können, hat diese Gruppe intensiv auf Flexibilität gesetzt. 

Bild 2: Bestehende Räumen wurden als Diskussionsbasis benutzt

Die Lernfabrik der Zukunft: Kollaboration und Lernen im Mittelpunkt 

Nicht nur die Zusammenarbeit der Mitarbeiter stand im Fokus, ein weiteres wichtiges Thema war die zunehmende Interdisziplinarität und Kooperation mit externen Partnern und Forschungsinstituten. 

Die Kollaboration mit Start-ups und KMU wurde von mehreren Gruppen aufgegriffen. In einer der Fabriken der Zukunft wurden eine zentrale Co-Working-Fläche und ein Experimentierraum berücksichtigt, anderen Fabriken planten Empfangsräume, Führungsmöglichkeiten und sogar Übernachtungslokale für Kunden ein. Die Digitalisierung sollte auch die Zusammenarbeit zwischen Standorten weiter vorantreiben – ein zentrales Thema im EuProGigant-Projekt. 

Ein letzter wichtiger Punkt war die Ausbildung der Mitarbeiter. In einer Gruppe war die Fragestellung, wo man in der Zukunft hauptsächlich lernen wird, und wie die Beziehungen zwischen Unternehmen und Ausbildungsinstituten aussehen wird. 

Ein interessanter Anreiz einer Gruppe war, dass Universitäten und Fachhochschulen Vertretungen oder Ausbildungsräume in Unternehmen etablieren könnten. So könne man noch praxisnäher ausbilden und bestimme Qualifikationslücken füllen. 

Wird aus der Fabrik der Zukunft eine Lernfabrik? 

Angepasst an die Geschäftsmodelle der Zukunft 

Am Ende bestimmen die Geschäftsmodelle der Zukunft, wie die Fabrik der Zukunft aussehen wird. 

Wird die Fabrik der Zukunft eine Mietfabrik, wo Partner und Start-ups die Infrastruktur anmieten können? Dann bräuchte die Produktionsfläche eine größere Auswahl an Maschinen und ausgebildete Mitarbeiter, die Gäste und Kunden in die Maschinenarbeit einführen, und die Maschinen entsprechend warten können. 

Wird die Fabrik der Zukunft eine “Kreislauffabrik”, in der die vom Unternehmen gefertigten Produkte zur Reparatur oder sogar zur Wiederverwertung zurückgeholt werden? So bräuchte die Fabrik der Zukunft diversere Räume und Flächen, um den sich ändernden Produktionsansprüchen und der Diversifikation des Unternehmens gerecht zu werden. 

Bild 3: Ein Teilnehmer bastelt an seiner Fabrik der Zukunft
Bild 4: Konzept einer Fabrik basierend auf dem Wachstumsprinzip

Abschließende Diskussion leitet die nächsten Schritte ein 

Am zweiten Veranstaltungstag stellten die Firmen Heller und IGH Infotec die „Anwendung digitaler Produkte heute und morgen“ im Kontext der Fabrik der Zukunft vor. Mit ihrem initialen Vortrag leiteten sie einen weiterführenden Austausch zwischen den Anwesenden ein. 

Den Abschluss des Treffens bildeten inhaltliche, projektbezogene Diskussionen, um ein gemeinsames Verständnis über das Thema Selbstbeschreibung im Kontext des Projekts zu erhalten. Dabei wurden Vokabulare und bestehende Standards von Maschinen und Anlagen besprochen und Überlegungen angestellt, wie diese kombiniert werden können. 

Bild 5: Gruppenbild der Teilnehmer

Dr. Verena Henrich

Researcher, Software AG 

Dr. Verena Henrich studierte Informationstechnik und Informatik an der Berufsakademie Mannheim, der Hochschule Darmstadt und der Universität Reykjavik. Anschließend promovierte sie in der Computerlinguistik an der Eberhard-Karls Universität Tübingen. Nach Abschluss ihrer Promotion arbeitete sie als Softwareentwicklerin bei IBM Watson Analytics for Social Media bei der IBM Deutschland Research und Development GmbH. Seit 2019 arbeitet Frau Henrich in der Forschungsabteilung der Software AG an national- und EU-geförderten Forschungsprojekten in den Themenbereichen Industrie 4.0 und Internet der Dinge. Frau Henrich bringt durch ihren computerlinguistischen Hintergrund viel Erfahrung mit der Verarbeitung von Daten und KI ins Projekt EuProGigant ein.

Felix Hoffmann

Wissensschaftlicher Mitarbeiter, PTW TU Darmstadt 

Felix Hoffmann studierte Wirtschaftsingenieurwesen mit Fachrichtung Maschinenbau an der RWTH Aachen. Seit 2019 arbeitet Herr Hoffmann als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) an der TU Darmstadt. Dort ist er in der Forschungsgruppe “Datenbasierte Wertstrom- und Geschäftsmodellinnovation” aktiv und konnte bereits in national und regional geförderten Forschungsprojekten in den Themenbereichen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz Erfahrungen sammeln. Herr Hoffmann ist im Projekt EuProGigant anwendungsfallübergreifend für die ganzheitliche Entwicklung datenbasierter Geschäftsmodelle zuständig.