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Fortschritt ist die Magie, die zwischen Fehlervermeidung und dem Vorstoß ins Unmögliche entsteht

03.03.2023

Quelle: AUTlook

Projektpartner Hannes Hunschofsky (EIT Manufacturing CLC East) und Friedrich Bleicher (Technische Universität Wien) widmen sich in der aktuellen Ausgabe deren Kolumne „Wissenstransfer“ des Magazins AUTlook Fehlervermeidungsstrategien in der Industrie und führen als positives Beispiel das deutsch-österreichische Leitprojekt EuProGigant an.

Anything that can go wrong will go wrong.

Der zitierte Spruch, der als „Murphys Gesetz“ weltweit bekannt ist, geht auf John W. Campbell Jr. (1910-1971) zurück. Der Autor, der als Wegbereiter für moderne Science-Fiction gilt, paraphrasiert hier einen Prozess, der naturwissenschaftlich korrekt so beschrieben werden könnte: Komplexe Systeme, die durch das Zusammenwirken von mehreren Subsystemen und den jeweiligen Stochastiken gekennzeichnet sind, zeichnen sich oft durch geringe Systemzuverlässigkeit und fehlende Gesamtverfügbarkeit aus. Mit diesem Phänomen der Störanfälligkeit von technischen Systemen und den Maßnahmen zur Reduzierung derselben setzen sich die Ingenieurwissenschaften auseinander. In der modernen Technik wird das heuristische Erfahrungswissen für Fehlervermeidungsstrategien verwendet. Das betrifft aber gleichermaßen nicht nur technische, sondern auch menschliche Fehleranfälligkeiten. Die originale Version des obigen Spruchs bringt dies noch klarer hervor:

If there’s more than one possible outcome of a job or task, and one of those outcomes will result in disaster or an undesirable consequence, then somebody will do it that way.

Als technische Antwort darauf wurde das Fail-Safe-Prinzip entwickelt, das zum Beispiel die Erhöhung der Ausfallsicherheit durch redundante Systeme vorsieht. Besonders wenn es um sicherheitsrelevante Systeme geht, werden redundante Funktionen eingesetzt, beispielsweise in Sicherheitssystemen von Produktionsmaschinen oder in der Luft- und Raumfahrt. Alternativ dazu verfolgt man den Zugang, technische Lösungen möglichst einfach zu halten, denn simple technische Lösungen sind tendenziell die „guten“: Sie liefern zuverlässige Ergebnisse. An der Stelle sei der britische Science-Fiction-Autor Arthur C. Clarke (1917- 2008) zitiert, der deutlich optimistischer war als sein amerikanischer Kollege Campbell. Sein als drittes Clarksches Gesetz bekannt gewordenes Axiom lautet:

Jede hinreichend fortschrittliche Magie ist von Technologie nicht zu unterscheiden

in der Produktionswelt die horizontale und vertikale datentechnische Integration des gesamten Wertschöpfungsprozesses unter Einbeziehung der Produktnutzung und der Kundenerfahrung bis hin zur Wiederverwertung und Entsorgung des Produktes. Aus informationstechnischer Sicht geht es wohl nicht mehr komplexer. Hinzu kommen noch externe Ein- oder besser Angriffe. Um Informationssysteme zu schützen, die mit der Umwelt über verschiedene Kommunikationskanäle (WLAN, RFID, Internet …) kommunizieren, müssen neuartige Verfahren entwickelt werden, die die funktionale Sicherheit und die Datensicherheit unter gemeinsamen Gesichtspunkten betrachten. Dies gilt vor allem im Bereich der Produktionssysteme, da dort Angreifer die funktionale Sicherheit eines Systems durch Schwachstellen der Datensicherheit beeinflussen können.

5G als nächste Mobilfunkgeneration ist nicht mehr nur für Telefonie und die klassischen Datendienste ausgelegt. Mit 5G als Kommunikationsstandard soll das Internet der Dinge ermöglicht werden, in dem Geräte und Maschinen sowie deren Komponenten, Sensoren, Motoren, Steuerungen mit der technischen Umgebung autonom kommunizieren können. In Form sogenannter „Network Slices“ können Kommunikationsstrukturen anwendungsspezifisch definiert werden. Die servicebasierte Architektur von 5G-Netzen ermöglicht es, schnell und effizient Kommunikationsdienste für unterschiedliche Anwendungen der industriellen Nutzung abzubilden. Vorteilhaft ist, dass verschiedene Network Slices dabei auf einer gemeinsamen physischen Infrastruktur betrieben werden können. Mit „Beamforming“, einer Technik, die ein drahtloses Signal auf ein bestimmtes Empfangsgerät fokussiert, kann eine hohe Kommunikationszuverlässigkeit bei hoher Datenrate und kurzer Latenzzeit in der direkten Kommunikation zwischen Netzwerkteilnehmern erreicht werden. Das sind Technologien, die es bislang so noch nicht gab.

Durch die Echtzeit- und Leistungsfähigkeit dieses Kommunikationsstandards wird auch die Basis gelegt, die ansonsten lokal im Anlagendesign einzuplanende Rechnerleistung aus der Factory-Cloud als Leistung zu beziehen. Das 5G-Interface zur Cloud bzw. zur Edge garantiert die für die Applikation notwendige Latenzzeit und Verfügbarkeit auch zeitkritischer Anforderungen. Neben der aktuellen Kommunikationstechnologie 5G wird insbesondere in Europa an einer Lösung gearbeitet, die Datensouveränität in großen vernetzten Systemen sicherzustellen. Gaia-X soll damit die europäische Antwort auf die amerikanischen und asiatischen Hyperscaler bilden. Die Initiative, an der Österreich über den Gaia-X-Hub Austria aktiv teilnimmt, verfolgt ein klares Ziel. Es sollen informationstechnische Strukturen geschaffen werden, mit deren Hilfe Organisationen oder Unternehmen Daten effizient und ökonomisch verarbeiten und untereinander teilen können, aber dennoch weiterhin die Kontrolle über diese Daten behalten.

Über das deutsch-österreichische Leitprojekt EuProGigant werden Anwendungslösungen für das produktionstechnische Umfeld konkretisiert. Konkret bedeutet dies, vorhandene Technologien zusammenzuführen sowie einen Gaia-X-Demonstrator in der Produktion mit konkreten Anwendungsfällen (Use Cases) aufzubauen. Für die Anwendungsfälle sollen innovative, digitale, datengetriebene Geschäftsmodelle im Zusammenspiel mit Gaia-X als Best-Practice-Beispiel für Europa entwickelt werden. Die wirtschaftliche Nutzung dieser Geschäftsmodelle während der Projektlaufzeit wird angestrebt.

EuProGigant zeigt auf, wie sich kleine und mittelständische Unternehmen über die Gaia-X Federation Services an die europäische Dateninfrastruktur in den Bereichen Maschinenanbindung und maschinennahe Datenverarbeitung, Resilienz im Wertschöpfungs-Ökosystem, Collaborative Condition Monitoring & Predictive Maintenance sowie der Energieeffizienzsteigerung in Fertigungsnetzen anschließen können. Diese Projektaktivitäten zeigen die Fähigkeiten heutiger IT-Technologien, eine digitalisierte, vernetzte Produktion Wirklichkeit werden zu lassen. Es wird sich herausstellen, wie weit Murphys Gesetz in den Griff zu bekommen ist. Denn, wie das zweite Clarksche Gesetz besagt:

Der einzige Weg, die Grenzen des Möglichen zu finden, ist, ein klein wenig über diese hinaus in das Unmögliche vorzustoßen.